Eigentlich wollte ich wirklich keine Silvesterworte schreiben. So viele geben bereits ihren Senf zum Jahr 2020. Aber weil ich ein sehr (leider oft zu) empathischer Mensch bin, kann ich nun
irgendwie doch nicht aufs Maul sitzen. 2020 tut mir nämlich leid. Sehr leid. Und ich möchte es trösten und verteidigen. Ich möchte ihm gerne sagen, dass ich mich an unendlich viele schöne Momente
erinnern kann. Bewusstere Momente als in allen vergangenen Jahren. Ich möchte ihm sagen, dass ich wieder gelernt habe, Fremdbestimmung anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Dass sie nicht
nur einengt, sondern auch neue Möglichkeiten eröffnet. Obwohl ich grossen Respekt habe vor diesem Virus bin ich sehr froh, dass die ganze Welt gebremst wurde und unsere Mama Erde nicht mehr
dauerbereist und -befeiert wird. Und obwohl das Schicksal in diesem Jahr unsere Familie ziemlich hart getroffen hat, möchte ich es wirklich nicht missen. Das Jahr. Was mir am meisten bewusst
geworden ist, das wissen wir ja eigentlich alle. Aber wir vergessen oder verdrängen es, weil oft gar keine Zeit für solche Gedanken bleibt: das Wichtigste ist die Liebe. Nicht zwingend das Geld.
Nicht das teure Auto. Nicht die neue Uhr oder die Bilder vom Maledivenurlaub. Das Wichtigste ist und bleibt die Liebe. Egal zu wem! Zu sich selber, zu einer Familie, einem Tier, dem Beruf,
Pflanzen, guter Küche, einem Zuhause, einem Hobby oder einem Ort. Denn zur Liebe gehören Geborgenheit und Leidenschaft - und beide beschützen und motivieren uns. Liebe und Leidenschaft geben uns
das Gefühl, zu leben. Und sie machen zufrieden. Natürlich gehören dazu auch Ärger, Frust und Streit in manchmal kaum aushaltbaren Massen, denn diese Gefühle entstehen nunmal, wenn man sich mit
etwas beschäftigt, das einem nicht egal ist. Und erst jetzt kommt für mich die Gesundheit. Wie wertvoll sie ist! Im Moment besteht jedes Ende eines Gesprächs aus und steht unter jeder Nachricht:
„Blib xund!“ Was aber, wenn man nicht (mehr) gesund ist? Ist es dann vorbei oder ist das Leben weniger lebenswert? Ich finde: nicht unbedingt. Jeder macht aus seinen Möglichkeiten, was er kann.
In letzter Zeit sind in unserem Umfeld so viele Tiere über den Regenbogen gereist, vor einigen Tagen ein entfernter Verwandter. Wir hatten uns vor zwei Jahren alle für Stammzellenspende
registrieren lassen, da er damals gesund vor uns stand und damit schockte, dass ihm ohne Stammzellentransplantation noch ungefähr zwei Jahre bleiben würden. Ein passender Spender konnte
tragischerweise nicht gefunden werden und am Weihnachtstag geschah das unendlich traurige, unvermeidliche.. er machte sich auf den Weg in den Himmel. Dieses Schicksal berührte uns sehr.
Da meine Familie das grosse Glück hat, (vermeintlich, man weiss ja nie) gesund zu sein, hatten wir uns schon lange nicht mehr so intensiv mit dem Tod beschäftigt wie letztes Wochenende. Und wir
kamen zu einem erstaunlichen, beruhigenden Schluss: egal wie lange uns noch bleibt, wir alle vier können sagen, dass wir ein intensives, schönes Leben haben. Dass da Liebe ist. In positiven und
in negativen Momenten. Liebe und Leidenschaft und die damit verbundene tiefe Zufriedenheit (mal ganz abgesehen von dem oft kleinen, unwichtigen, was an der Oberfläche brodelt). Der 15jährige
Teenie konnte aus tiefem Herzen und ganz bestimmt sagen, dass sein Leben, wenn es heute zu Ende ginge, schön war. Und DAS sei für ihn wichtig... und genau dieses Bewusstsein, so finde ich halt,
hat uns das Jahr 2020 zurückgegeben. Es brachte uns dieses Gefühl, dass nichts sicher ist und einem alles genommen werden kann. Es erinnerte uns daran, dass das Leben endlich ist. Für jeden. Es
lehrte uns, wieder bewusster im hier und jetzt zu leben und DAS zu lieben und zu schätzen, zu hegen, zu pflegen und aber im richtigen Moment auch loslassen zu können, was einem lieb und wertvoll
ist. Denn es kann so schnell vorbei sein. Nicht das Ausgehen, das Freunde treffen oder das Reisen. Sondern ganz vorbei.
Deine Simone
Zum Foto: danke 2020 für Momente wie diesen lustigen Schlammspaziergang vor ein paar Tagen.