Heute war wie jeden Dienstag wieder Markttag im Gefängnis Lenzburg (JVA). Oder Sieda-Bazar, wie ihn die Angestellten lachend betiteln.
Wir nennen das liebevoll und mit Zwinkerauge so, weil (zumeist) Simone dann unsere wöchentliche Betonlieferung abholt. Diese ist - nach einigen Optimierungsschritten - nicht mehr wie noch vor
einem Jahr nach genauer Bestellung fertig in Kisten verpackt, sondern wir nehmen uns das, was wir brauchen. Das klingt dann in etwa so... Sandro (Werkstattchef): "Schmuckschäleli?" Simone: "Drei"
und packt sie mit Seidenpapier in eine der Kisten. Auf der Sommerliste stehen 104 (!!) verschiedene Artikel, welche darauf warten, aufgerufen und hoffentlich mitgenommen zu werden. Sie sind in
Kisten und auf Paletten gestapelt und zumeist allermindestens zu fünft am warten... ihr Sortiment wechselt mit der Jahreszeit. Neben all den Basisprodukten hält jede Jahreszeit eine Vielzahl von
selber hergestellten Saison-Giessformen bereit. Sowieso stammen fast alle Güsse aus siedagemachten Silikonformen. Für das gesamte Material ist Sieda verantwortlich, die JVA stellt die
Arbeitskräfte. Alle paar Monate werden Paletten mit unserem Giessmaterial direkt in die JVA geliefert, wir versorgen sie mit neuen Giessformen und speziellem Werkzeug. Das ganze Know-how, welches
wir vor 1.5 Jahren (als die JVA noch keine Ahnung hatte von betonieren) vermitteln durften, steckt mittlerweile tief in den Knochen beider Werkstattleiter. Mal ehrlich: durch das ständige
Optimieren und die tägliche Praxis verstehen der zuständige Häftling und die beiden das Handwerk mittlerweile so ziemlich hundert mal besser als wir. Oder so.
Eben, die beiden Leiter der Malerei (total moderne, professionelle Werkstatt, wo die Sieda-Ecke eingegliedert wurde) schätzen die Abwechslung, betonieren selber mit, wenn wieder ein Häftling
"verhindert" ist oder Zeitdruck herrscht. Der zuständige Häftling arbeitet fünf Tage pro Woche für Sieda und füllt viele Formen täglich, nachdem er sie ausgeschalt hat. Alle werden geschliffen
und gewaschen, bevor sie zum Bazar gebracht werden.
Heute steuerte ein hoch motivierter Mr.Z (Mr.x hat sich schon seit längerem verabschiedet) um die Ecke, um Simone voller Stolz die neusten Fortschritte und Optimierungen zu erklären. Er ist heute
voller Tatendrang und seine Augen blitzen stolz, als er für eine kleine Idee bei einem kleinen Schmetterling Zuspruch und grünes Licht erhält.
Oh ja, selbstverschuldet und wohl zu recht lebt er da hinter Gittern. Aber er ist so sehr Mensch! Zuspruch, ein anerkennendes Wort, Dankbarkeit... er hat es verdient, denn DIESE Arbeit verrichtet
er wirklich toll. Auch nach 1.5 Jahren machen wir uns noch oft Gedanken über unsere Mr.x/y/z. Über ihr Schicksal und die Frage, wo der falsche Weg seinen Ursprung gefunden oder genommen hat und
wie viel Schuld sie selber daran haben und tragen. Für den allerersten Anfang.. den Anfang von diesem langen, negativen Rattenschwanz!
Simone verlässt die Malerei im vollgepackten Auto, fährt - vorbei an den Häftlingen, welche weiter drüben Spazierstunde haben, Tischtennisspielen, plaudern und lachen - übers Gelände und durch
das erste Tor, lässt in der Schleuse ihr Auto genauestens untersuchen, holt sich iPhone und ID zurück und winkt dem Portier zu. Mittlerweile kennen uns hier fast alle. Wir sind unendlich dankbar
für diese Möglichkeit und ziehen unsere Hüte vor all den Angestellten, dieser ganzen Organisation, welche so wohl organisiert, konsequent, streng und doch möglichst menschenwürdig Menschen hinter
Gittern und Mauern verwahrt.
Im Gefängnisladen kauft Simone wie jede Woche Gemüse, Backwaren und Joghurts aus gefängniseigener Produktion.
Zuhause wird Beton ausgepackt, sortiert, auf Malerinnen aufgeteilt... und der Alltag in der Freiheit geht weiter. Mensch. Ja. Geniess es, frei zu sein! Klar zu kommen damit und dich eingliedern
zu können. Das ist wirklich nicht selbstverständlich.
Deine Si&Da
Ps: die Fotos stammen von der JVA, Handys oder Fotoapparate sind natürlich nicht geduldet im Gefängnis. Auch hier: Danke Sandro, Leiter Malerei!
Pps: da haben wir es: Siedaprodukte sind von A-Z von Hand in der Schweiz gefertigt. Schöner Gedanke, nicht wahr?