Gefängnisstunden

Alle ein- bis zwei Wochen ist es so weit: wir passieren die gesicherte Drehtüre zur JVA (Gefängnis -Justizvollzugsanstalt- Lenzburg), melden uns beim Empfang an, "unser" Werkstattchef bestätigt dem Sicherheitsmann am Telefon unseren Besuch, wir tauschen unsere Identitätskarten in Besucherausweise und fahren anschliessend mit unserem Van in die Schleuse, dem Gefängniseingang für Transporte. Während das Auto genaustens untersucht wird, verstauen wir unsere Handys in einem der dafür vorgesehenen Schliessfächer. Nach einem Okay vom Schleusenchef öffnet sich das zweite Tor, wir fahren ins Gefängnis und durch ein weiteres Tor (wovor wir aussteigen und klingeln müssen) zu den Werkstätten. Überall dicke, hohe Zäune und Kameras. Aber auch Tischtennistische, Bänkli und ein Spazierweg. Bei den Rampen zu den total modernen Werkstätten wartet Sandro Tschumi, Werkstattleiter der Malerei. Er ist der eine unserer beiden Männer im Team. DER Mann, welcher das Projekt spannend fand und uns mit seiner Motivation und seinem Engagement die Chance gab, "Sieda goes JVA" anzupacken und zu realisieren. Unser Kontaktmann, mit welchen wir manchmal täglich telefonieren und mailen. Und der, dem wir all das zu verdanken haben. Und der Hauptakteur? Mr.x kommt aus seinem Werkstattbereich, begrüsst uns freundlich und mit festem Händedruck, tauscht ein paar Worte und packt dann sofort an, um Kisten zu ent- und beladen. Während alle mithelfen, tauschen wir uns aus über technische Fragen, Materialnachschub, die Bestellliste oder alltägliche Themen. Irgendwie erfreuen sich immer alle an diesem Moment. Mr.x ist stolz und hat Freude, wie wir seine Arbeit bewundern. Sandro schätzt den frischen Wind, welchen wir reinwehen und wir - wir sind einfach nur unendlich dankbar für die schönen Sieda-Rohlinge. Manchmal ist Mr.x mit den anderen Gefangen gerade in der täglichen Spazierstunde, dann tauschen Sandro und wir uns auch gerne darüber aus, wie toll Mr.x Fortschritte sind. Er betoniert mittlerweile nicht nur viel besser als wir (und in den ersten Wochen sah das ganz anders aus, Teile von ersten Ladungen mussten entsorgt werden-nach Siedaansprüchen zu betonieren, ist eben doch nicht so einfach!), er fühlt sich geschätzt und gebraucht und sinnvoll eingesetzt. Die selbstständige Arbeit tut ihm gut. Daran haben auch Sandro und die JVA Freude. 
Und wir sind so stolz auf Mr.x und Sandro! 
Die Autotüren werden geschlossen, wir verabschieden uns und fahren los. Wenn der Portier uns gerade über die Überwachungskameras mitverfolgt, öffnet sich das erste Tor wie von Zauberhand. Mittlerweile haben die Gefangenen ihre Spazierstunde, in roten Jacken, mit Jeans und schwarzen Mützen spazieren sie auf dem Hof, spielen Tischtennis oder stehen in Gruppen beieinander. Man könnte die Situation mit dem Pausenhof in einer Schule verwechseln. Beim letzten Tor vor der Schleuse müssen wir den Motor ausschalten, aussteigen, das Auto abschliessen und mit einem Knopf am Tor klingeln. So stellt die JVA sicher, dass wir nicht bedroht werden. In der Schleuse wird der neue Inhalt des Autos wieder genau untersucht, wir holen unsere iPhones aus den Schliessfächern und die ID vom Portier. 
Auf dem Heimweg kommt es immer wieder mal vor, dass wir uns zuerst ein bisschen erden müssen. Auch wenn wir wissen, dass es für jeden Gefangenen gute Gründe gibt, dass er hier ist, sehen wir hier einfach nur Menschen. Welche mit vielleicht unbewusst falschen Programmierungen im Kopf oder einer Kindheit und Vergangenheit, welche gar nie eine Entwicklung eines gesunden Menschenverstandes zuliessen. Es macht nachdenklich zu wissen, wie sie ihr Leben verbringen. Und wir sind dann irgendwie froh für uns und für sie, dass sie ihre Strafen in einem so gut organisierten und menschlichen Umfeld absitzen können. 
Die JVA beeindruckt uns sehr. 
Liebe Grüsse 
Si&Da 
Ps: Übrigens ist unsere Sieda-Fabrik in der Malerei integriert. Viele wissen nicht, dass du als Privatperson Fensterläden oder Möbel bringen kannst (davon lebt die Malerei!), welche abgelaugt, abgeschliffen, gespachtelt, geflickt und neu gestrichen werden. Da die Werkstätte ja auch zum therapeutischen Zweck arbeitet, nehmen sie sich viel Zeit für jedes Möbel/Objekt. Alles wird sehr professionell geschliffen, gespachtelt, gespritzt und bearbeitet. Manchmal stehen wunderschöne Stühle, Bänkli, Buffets, Türen oder so im Lager, welche auf ihre Verwandlung warten oder sie bereits hinter sich haben und wir am liebsten gleich mitnehmen würden ;-). Die JVA hat immer Freude an Aufträgen, hier findest du mehr dazu: https://www.ag.ch/de/dvi/strafverfolgung_strafvollzug/jva_lenzburg/betriebe/malerei_ablaugerei/malerei_ablaugerei_1.jsp
Danke Sandro Tschumi für diese tollen Fotos.. Da die ganze Anlage über eine Handy-Störanlage verfügt, können wir unsere "Fotomaschinen" natürlich nie ins Gebäude mitnehmen... Umso wertvoller sind diese Fotos für uns. Ein herzliches Danke auch an die Leitung der JVA, dass Sie uns die Veröffentlichung der Bilder erlaubt haben.
Die Bilder sind schon eine Weile her... Mittlerweile ist die Sieda-Ecke voller Formen, Paletten mit Betonmaterial etc. Der Arbeitsbereich wächst und wächst mit Sieda :-).